Überdenkt die langlaufenden Teams!

Auf der Konferenz „Manage Agile“ haben Sebastian Radics und ich im November 2016 einen Vortrag über den Abschied von langlaufenden Teams gehalten. Wir stellten dort unsere Erfahrungen mit dynamischen Teams bei idealo vor. Die Folien des Vortrags gibt es hier:

In diesem Beitrag fasse ich unsere mündlichen Erläuterungen dazu kompakt zusammen.

Warum wollen wir langlaufende Teams?

Beschäftigt man sich mit dem sozialen Zusammenspiel von Menschen in einem Team, so ist ein sehr bekanntes Modell das der Teamphasen von Bruce Tuckman. Es unterteilt die soziale Zusammenarbeit in einem Team bzw. die Bildung eines Teams in vier Phasen: Forming, Storming, Norming und Performing.

In der Forming-Phase lernen sich die Teammitglieder überhaupt kennen. Daran schließt sich laut dem Modell die Storming-Phase an. Hier werden die späteren Positionen und Rollen der einzelnen Mitglieder innerhalb des Teams ausgehandelt. Darauf aufbauend findet das Team in der Norming-Phase einen Modus, in dem es unter Berücksichtigung der Individuen und ihrer Rollen gut miteinander arbeiten kann. Wenn auch diese Phase erfolgreich durchlaufen wurde, beginnt die Performing-Phase, in der das Team dann nach klar abgestimmten Regeln gut miteinander arbeiten und potenziell Höchstleistungen erbringen kann.

Das Modell von Tuckman sagt also, dass ein Team diese Phasen durchlaufen muss, wenn es ein hoch-performantes Team werden will. Unserer Erfahrung nach ist das nicht immer exakt so und insbesondere bewegen sich Teams nicht zwangsläufig linear durch diese Phasen, bis sie am Ende gut arbeiten. Eine in der Praxis relevante Aussage aus diesem Modell ist aber, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis ein Team sich gefunden hat und mit hoher Produktivität gemeinsam arbeitet. Wohlgemerkt trifft dies nicht nur auf neu gebildete Teams zu. Auch das Weggehen oder Dazukommen einzelner Teammitglieder kann ein bestehendes Team diese Phasen erneut durchlaufen lassen.

Darüberhinaus gibt es weitere Phänomene in der sozialen Zusammenarbeit, die nahelegen, dass Teams möglichst stabil bleiben sollten um eine gute Teamleistung zu erzielen. Unter anderem zählen dazu die „Five Dysfunctions of a Team“ von Patrick Lencioni.

Warum wollen wir dynamische Teams?

Wieso also denken wir überhaupt über dynamischere Teamansätze nach? (Anmerkung: Wie sich im Laufe der Zeit herausstellte, führt der Begriff „dynamisch“ manchmal zu einer falschen Vorstellung von sich ständig ändernden Teams. Treffender ist der Begriff „flexible Teams“. Weil wir im Vortrag „dynamisch“ verwendet haben, nutzte ich es hier zur Einführung noch, werde aber ab sofort den Begriff „flexible Teams“ verwenden.) Wir haben bei idealo verschiedene Schwierigkeiten in der Arbeit mit festen, d. h. langlaufenden Teams beobachtet:

  • Fehlende Flexibilität bei komplexen Zielen und Herausforderungen
  • Eingeschränkter Wissensaustausch und Lernen über Teams hinweg
  • Mangelnde Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Teammitglieder

In komplexen Umfeldern (bei denen sich z. B. Agilität als Methode sehr gut eignet) gibt es viele Überraschungen. Projekte müssen sofort starten, plötzlich größer oder kleiner werden und manchmal müssen sie sogar anderen, dringenderen Projekten komplett weichen. All diese Szenarien stellen eine Arbeit mit festen Teams vor Probleme. Wenn ein Projekt neu starten soll, muss erst aus den bestehenden Teams das bestpassende ausgewählt und dann gewartet werden, bis es das aktuelle Projekt fertig gestellt hat. Dann kann es das neue Projekt angehen. Sollten sich im Verlauf die Anforderungen so verändern, dass ein größeres (oder kleineres) Team sinnvoll wäre, gibt es in der Regel wenige Möglichkeiten das umzusetzen. Das Projekt wird dann also suboptimal weiter geführt. Wird ein Projekt beendet, so kann das nun freigewordene Team nicht andere, laufende Projekte unterstützen, sondern wartet in der Regel, bis ein neues Projekt für das ganze Team gefunden wird. Im Extremfall führen all diese Phänomene dazu, dass Projekte nach den verfügbaren Teams geschnitten werden, anstatt die nötigen Mitarbeiter möglichst gut für ein Projektziel zusammen zu stellen.

Theoretisch können langlaufende Teams in bester Art und Weise Expertenwissen aufbauen. Allerdings ist ein bestimmtes Wissen im komplexen Umfeld selten langfristig gefragt. Nötiges Know-How ändert sich schnell. Darüberhinaus ist es auch so, dass ein festes Team nur auf ein eng begrenztes Wissen zugreifen kann – das der eigenen Teammitglieder. In flexiblen Teams findet der Austausch über eine viel größere Grundmenge von Wissensträgern statt. Damit werden bessere Lösungen gefunden und weiter in die Breite getragen. Das Team „kocht nicht mehr im eigenen Saft“, sondern alle profitieren von dem Wissen von mehr Kollegen.

Der dritte Kritikpunkt an stabilen Teams betrifft die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten der Teammitglieder. Mitarbeiter, die in festen Teams arbeiten, sind sehr festgelegt auf die Themen dieses Teams. Eine persönliche Weiterentwicklung wird dadurch nach kurzer Zeit schwierig. Sind die Teams hingegen flexibel, können Mitarbeiter auch auf für sie neue Themen wechseln.

Zusätzlich zu diesen Schwierigkeiten muss gesagt werden, dass der heutige Arbeitsmarkt langlaufende Teams ohnehin nahezu unmöglich macht. Da viele Mitarbeiter ihren Arbeitgeber durchaus schon nach zwei Jahren wechseln, führt allein dies viele Teams regelmäßig wieder an den Anfang der Teamphasen.

Wie haben wir flexible Teams eingeführt?

Die genannten Gründe haben dazu geführt, dass Sebastian Radics und ich bei idealo in einem Bereich mit ca. 30 Mitarbeitern und vormals vier festen Teams flexible Teams eingeführt haben. Der Start war quasi minimal-invasiv und langsam. Im ersten Schritt haben wir einzelne Mitarbeiter zeitlich befristet in anderen Teams arbeiten lassen – liebevoll „hospitieren“ genannt. Das taten Mitarbeiter, die konkret Interesse geäußert hatten in einem anderen Team zu unterstützen. Dadurch wurden die ersten mentalen Mauern zwischen den Teams überwunden.

Im zweiten Schritt haben wir ein existierendes Team mit einem zweiten zusammengelegt. Das erste brauchte Unterstützung, weil es an einem sehr großen und strategisch wichtigen Projekt arbeitete, aber nicht ausreichend Mitarbeiter hatte. Für alle Beteiligten blieben die bekannten Arbeitskollegen also erhalten, es kamen nur neue dazu. Dies war schon ein schwieriger Schritt, aber am Ende erfolgreich.

Später brauchten wir für ein komplett neues Thema eine Besetzung und haben ein neues, kleines Team aus den vorhandenen ausgegründet. Dies ging sehr einfach, weil das Team nur aus drei Kollegen bestand, die schon einmal in einem Team zusammen gearbeitet hatten.

Heute sind wir in der Lage Teams komplett neu aufzustellen, sofern das notwendig ist. Im Rahmen einer großen Strategieänderung haben wir genau dies auch getan. Damit haben wir heute die nötige Flexibilität um uns kurzfristig geänderten Anforderungen anzupassen. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass dies deshalb nicht ständig passieren sollte. Trotz aller Flexibilität ist Stabilität wichtig. Abgesehen von der einen grundsätzlichen Strategieänderung nehmen wir im Schnitt alle 6 Monate eine Änderung in der Teamstruktur vor, die dann aber eben nur Teile der Mitarbeiter betrifft und nicht alle.

Wie wir mit unseren Mitarbeitern konkret zu neuen Teams kommen, kann ich bei Interesse gerne in einem separaten Artikel beschreiben.

Welche Vorteile bieten flexible Teams?

Neben den genannten Vorteilen, dass wir jederzeit Projekte unterschiedlichster Größen starten, anpassen und beenden können, dass das Wissen besser verteilt wird und dass für den Einzelnen viel mehr Weiterentwicklungsmöglichkeiten bestehen, gibt es noch mehr Vorteile flexibler Teams. Ein wichtiger ist der der Motivation. Nach Dan Pink gründet individuelle Motivation auf drei Aspekten: Purpose (Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns), Autonomy (Selbstbestimmtheit) und Mastery (fordernde Aufgaben, die nicht überfordern).

Wir adressieren diese drei Aspekte durch einen Selbstnominierungs-Ansatz bei der Besetzung der Teams: Wir erfragen die Wünsche der Mitarbeiter an bestimmten Themen zu arbeiten und berücksichtigen sie möglichst innerhalb fachlicher Rahmenbedingungen (Bedarf, Verzichtbarkeit/Ersetzbarkeit in anderem Projekt, technische und fachliche Eignung…). Dadurch befördern wir die Motivation:

  • Mastery: Durch die Möglichkeit zwischen Aufgaben mit unterschiedlichen technischen und fachlichen Herausforderungen zu wählen, kann jeder Mitarbeiter die für sich passende Aufgabe aussuchen.
  • Autonomy: Durch die Selbstnominierung erhält jeder einzelne Einfluss darauf, an welchen Themen er arbeiten wird.
  • Purpose: Ebenso begünstigt die Selbstnominierung es, dass ein Mitarbeiter an den Themen arbeiten kann, die er selbst als am sinnvollsten empfindet.

Dadurch, dass wir bei der Besetzung der flexiblen Teams die Wünsche der Mitarbeiter im Rahmen der Möglichkeiten berücksichtigen, schaffen wir eine höhere Identifikation und Motivation für die Themen, an denen die Teams arbeiten. Das erhöht auch die Zufriedenheit und damit die Bindung der Mitarbeiter ans Unternehmen – ein Faktor, den man auf dem heutigen Arbeitsmarkt nicht unterschätzen sollte.

Was ist bei der Einführung zu beachten?

So gut die flexiblen Teams zunächst klingen, ist es nicht trivial ein solches Modell einzuführen. Vier Punkte sind aus unserer Sicht besonders wichtig:

  • möglichst schrittweise einführen
  • technische Homogenität herstellen
  • mit viel Führung begleiten
  • Code Ownership klären

Weil wir früh angefangen hatten, hatten wir die Chance den Wechsel von festen zu flexiblen Teams langsam und schrittweise zu vollführen. Aus unserer Sicht ist diese Methode für die Einführung stets vorzuziehen. Wenn sich Mitarbeiter die Frage stellen müssen, mit wem und woran sie morgen arbeiten, kann das eine sehr verunsichernde Frage sein. Weil wir erst mit einzelnen Hospitationen begonnen, danach komplette Teams zusammengeführt haben, war es für die übrigen Mitarbeiter viel einfacher zunächst zu beobachten und zu erkennen, dass alles in planbarem Rahmen abläuft. Eine schnellere Umstellung hätte vermutlich viel mehr Widerstand erzeugt.

Wenn man Teams flexibler zusammenstellen möchte, dürfen die nötigen Fähigkeiten nicht zu unterschiedlich oder zu spezialisiert sein. Wir haben beispielsweise bei der Gründung des Bereiches entschieden nur eine Programmiersprache einzusetzen und nicht zwei, wie es historisch gegeben gewesen wäre. Wenn die nötigen Fähigkeiten zu unterschiedlich sind, kann ich Teams nicht unterschiedlich zusammen stellen. Insofern lohnt es sich unter Umständen in z. B. technische Homogenisierung zu investieren.

Ein extrem wichtiger Faktor bei flexiblen Teams ist eine gute Führung. Durch die weniger klar absehbare Zukunft ist es sehr wichtig jeden einzelnen Mitarbeiter stets gut abzuholen. Führungskräfte müssen Befürchtungen aufnehmen, noch stärker Entwicklungswünsche besprechen, Transparenz über den Prozess der Teamfindung herstellen etc. Außerdem müssen sie sicherstellen, dass die Ziele (Purpose) ausreichend bekannt sind, der Prozess der Zuordnung von Mitarbeitern zu Teams sauber läuft und dass übergreifende Zeremonien für fortlaufenden Austausch zwischen den flexiblen Teams funktionieren. Selbst so banal erscheinende Aufgaben wie das Sicherstellen einer ebenso flexiblen Infrastruktur (flexible Arbeitsplätze etc.) sollte man nicht unterschätzen.

Für eine reibungslose Arbeit von flexiblen Teams an unterschiedlichen Software-Produkten ist es wichtig zu klären, wer die Code Ownership trägt – insbesondere, wenn die erstellenden Teams hinterher eventuell so nicht mehr existieren. Wenn in einem früher erstellten Softwareprodukt ein Bug auftritt, sollte geklärt sein, wer sich darum kümmern muss – und nicht erst eine Diskussion darüber starten. Wir lösen das derzeit dadurch, dass es immer ein Team gibt, das sich um die Pflege der Bestandssoftware kümmert, an der aktuell kein spezielles Team entwickelt. Allerdings stellt das hohe Anforderungen an die Wissensverteilung und ist vermutlich nicht der Weisheit letzter Schluss.

Fazit

Langlaufende Teams haben eine Reihe von Nachteilen, die flexible Teams nicht aufweisen. Dennoch sind flexible Teams nicht immer sinnvoll: Wenn das Umfeld nicht komplex, aber sehr kompliziert ist, sind spezialisierte, langlaufende Teams optimal. In anderen Fällen bieten flexible Teams handfeste Vorteile und eine ungeschlagene Befähigung um auf Änderungen des Umfelds schnell und adäquat zu reagieren. Für die Einführung eines solchen Modells müssen allerdings eine Reihe von Herausforderungen beachtet werden. Die wichtigsten Erfolgsfaktoren sind dabei aus unserer Sicht die schrittweise Einführung und eine sehr gute Führungsbegleitung.

Die folgende Folie versucht alles noch einmal extrem komprimiert zusammenzufassen:

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3 Gedanken zu „Überdenkt die langlaufenden Teams!

  1. Man braucht vor allem _handwerklich_ fähige Leute.
    Jemand der Kunst studiert hat, wird auf einmal techn. Projektleiter… lustig!
    Agile heißt nur bedingt „effizient“ – aber vll. muss man es auf die harte Tour selbst erfahren.

    1. Völlig richtig. Ein vernünftiges System bringt gar nichts ohne fähige Leute.
      Andersherum reiben sich gute Leute aber auch in einem schlechten System auf.

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