Wir brauchen Berufsrebellen!

Dies ist mein zweiter Beitrag zur Blogparade #Organisationsrebellen. Deren Ziel ist es “Rebellen” dabei zu unterstützen, Unternehmen von innen heraus zu verändern.

Wenn ich über Rebellen in einer Organisation nachdenke, fällt mir eine Rolle als erste ein, die quasi darauf angelegt ist: der Agile Coach. Meist stehen die Agile Coaches etwas abseits der Hierarchie, haben typischerweise keine Personalverantwortung und daher auch die Freiheit – und im Idealfall die Aufgabe – Dinge zu hinterfragen und den Finger in die Wunde zu legen – Berufsrebellen eben!

Die maximal diffuse Rolle

Doch ganz so einfach ist es in der Praxis leider nicht. Die Unklarheit fängt schon bei der Vielzahl der Bezeichnungen an, die dennoch meist etwas irgendwie Ähnliches meinen: Die einen Unternehmen haben Scrum Master, die anderen nennen sie Scrum Coaches, wieder andere sprechen von Agile Coaches oder ganz allgemein von Agilisten. Ich möchte der Einfachheit halber im Folgenden stets von Agile Coaches sprechen. (In Ermangelung einer besseren Alternative und im Bewusstsein, dass auch dieser Name mindestens teilweise unpassend ist. Für bessere Vorschläge wäre ich dankbar.)
So unterschiedlich wie die Benennung sind auch die Aufgaben: Sie reichen oftmals diffus vom Team-Assistenten über den Coach für Führungskräfte oder Product Owner bis hin zum Optimierer der Gesamtorganisation. Meiner persönlichen Erfahrung nach tun sich insbesondere die Agile Coaches selbst schwer mit der Definition ihrer Aufgabe. Selbst in einem Team von Agile Coaches streut das Selbstverständnis meist über einen weiten Teil der oben genannten Aufgabendefinitionen. Die einen wollen gerne vor allem einzelne Teams unterstützen und voranbringen, die anderen würden gerne die ganze Organisation agil optimieren.

Agile Coaches haben die Freiheit – und im Idealfall die Aufgabe – Dinge zu hinterfragen und den Finger in die Wunde zu legen.

Dementsprechend schwer tun sich auch viele Unternehmen mit dieser Rolle.
Sichtbar wird das zum Beispiel dadurch, dass die meisten mir bekannten Unternehmen keine ernsthafte Entwicklungsperspektive für Agile Coaches in Form eines Karrierepfades anbieten. (Was, wie ich glaube, auch an der Tendenz der Agile Coaches liegt keine klassisch-hierarchischen Systeme zu mögen und solche Karrierestufen daher abzulehnen. Leider fällt ihnen das auf die Füße, wenn dieselbe Rolle einmal so ausgefüllt werden will, dass das Team im Mittelpunkt steht, und einmal so, dass eigentlich die Organisation verändert werden soll.) Dass sich diese widersprüchlichen Vorstellungen vielleicht einfach nutzen und gewinnbringend auflösen lassen, will ich im Folgenden zeigen.

Wozu Agile Coaches?

Doch vor diesem Vorschlag steht zunächst die Frage: Braucht es den Agile Coach überhaupt?
Wie ich schon in meinem Beitrag “Wieso immer anders und wieso immer Andere?” dargelegt habe und es zum Beispiel auch Sarah Biendarra in dieser Blogparade thematisiert, braucht jedes Unternehmen heute statt Rebellion/Revolution eher eine stetige Evolution, d. h. einen andauernden Veränderungsprozess (früher einmal liebevoll “kontinuierlicher Verbesserungsprozess” genannt). Um diesen zu etablieren und am Laufen zu halten, ist es sinnvoll und notwendig diese Aufgabe in der Organisation zu verankern. Reguläre Führungsstrukturen tendieren nämlich stets dazu, die eigene Macht zu verfestigen. Dadurch ist Widerstand gegen notwendige Veränderung wahrscheinlich. Man möge mich nicht missverstehen: Natürlich erwarte ich in erster Linie von einer Führungskraft die Initiative und die Bereitschaft zur Veränderung. Dennoch hilft es ungemein eine neutrale Rolle zu haben, die alle Freiheiten hat auf die Beseitigung von Missständen hinzuwirken.
Um die Organisation beweglich zu halten, ist die Rolle des Agile Coaches daher ein gutes Mittel. Es braucht eben Rebellen beziehungsweise (R)Evoluzer für die Veränderung.

Reguläre Führungsstrukturen tendieren dazu, die eigene Macht zu verfestigen.

Ein zweiter Grund für Agile Coaches ist die Skalierung der Führung in einem Unternehmen. Das mag widersinnig klingen, führen sie doch in der Regel selbst keine Mitarbeiter. Wie ich in dem Beitrag Verflixte Hierarchie dargelegt habe, lassen sich jedoch mindestens vier Arten von Führungsaufgaben unterscheiden:

  1. Fachliche Führung
  2. Disziplinarische Führung
  3. Soziale Führung
  4. Strategische Führung

Ein übliches Vorgehen ist es alle diese Führungsaufgaben bei “der” (einen) Führungskraft zu verorten. Oftmals ist die Intention dahinter Verantwortung klar zu verteilen. Typischerweise führt das jedoch zu überlasteten Führungskräften: Einerseits aus dem großen Zeitaufwand heraus, der für diese Vielzahl an Aufgaben nötig ist, und andererseits weil nicht jede Führungskraft gleichermaßen gut geeignet ist für alle vier unterschiedlichen Aufgaben. Was es aber bedeutet Führungskräfte zu überlasten und damit zu einem Engpass zu machen, dessen Wirkung sich multipliziert, legt Gunter Dueck sehr schön dar.
Wenn man aber bereit ist die Führungsaufgaben zu verteilen um damit zu einer besseren und besser skalierenden Führung zu kommen, so können Agile Coaches mindestens Aufgaben der sozialen Führung übernehmen.

Es braucht eben Evoluzer für die Veränderung.

Wie können sich Agile Coaches entwickeln?

Wenn ich also Agile Coaches in meiner Unternehmung als Berufsrebellen haben möchte, besteht die Frage, welche Entwicklungsmöglichkeiten ich ihnen bieten kann.

Hier will ich eine mögliche Ausgestaltung der Rolle über verschiedene Karrierestufen vorschlagen:

  • Der Team-Agile-Coach: Er kümmert sich um die Entwicklung eines (oder mehrerer einzelner) Teams: das Durchlaufen der Teamentwicklungsphasen, das soziale Zusammenspiel im Team, die Ablauforganisation im Team (ob dazu Scrum oder Kanban oder was auch immer genutzt wird, ist unerheblich), das Aufzeigen von Hindernissen und Missständen und die Weiterentwicklung der Selbstorganisation des Teams.
  • Der Bereichs-Agile-Coach: Hat ein Agile Coach einzelne Teams erfolgreich sozial geführt, kann er übergeordnete Aufgaben übernehmen in einem Bereich aus mehreren Teams: das Weiterentwickeln der Aufbauorganisation im Bereich, das Sicherstellen von sauberen Business-Impact-Betrachtungen und übergreifender Priorisierungen im Sinne agiler Produktentwicklung, das Stärken der Partizipation aller Mitarbeiter bei Entscheidungen, d. h. die Weiterentwicklung der Selbstorganisation auf einer höheren Ebene.
  • Der Unternehmens-Agile-Coach: Während die ersten beiden Rollen stark in den jeweiligen Unternehmenseinheiten verankert waren, kann ich mir als weitere Entwicklungsstufe vor allem eine Wirkung als Stabsposition vorstellen: das Hinterfragen und Weiterentwickeln von Aufbauorganisation insgesamt, die Verbesserung der Kooperation zwischen Unternehmensteilen, das Hinterfragen von Rollen auf Unternehmensebene und das Stärken agilen Mindsets und von agilen Methoden.

Ich gebe zu, meine Benennung dieser drei Stufen ist nicht sehr kreativ und fällt mir nicht leicht. Den Unternehmens-Agile-Coach als “Executive Agile Coach” zu bezeichnen, fände ich beispielsweise komisch. Auch hier bin ich deshalb dankbar für konstruktive Vorschläge.

Damit diese Stufen effektiv wirken können, braucht es jedoch die Befähigung (Empowerment) dazu. Gerade mangels disziplinarischer Führungsverantwortung ist das nicht selbstverständlich. Die ersten beiden Karrierestufen erfordern daher die Erkenntnis der jeweiligen Führungskräfte, dass ihnen ein Agile Coach bei ihren Aufgaben enorm helfen kann, und die Bereitschaft das zu nutzen. Für den Unternehmens-Agile-Coach ist eine Legitimierung durch das Top-Management nötig um Wirkung entfalten zu können.

Damit Agile Coaches effektiv wirken können, braucht es das Empowerment dazu.

Beides führt dahin zurück, dass die Organisation den Agile Coach haben wollen muss, damit er funktionieren kann. Die obigen Ausführungen helfen hoffentlich dabei das Haben-wollen zu unterstützen.

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