Moderne Führung und Agilität

Orientierungslose OKRs

Gerade in größeren Organisationen ist es schwer mit mehreren Unternehmensteilen gemeinsam größere Vorhaben zu priorisieren und umzusetzen. 

Die nötige Abstimmung ist aufwendig und ein gemeinsames Commitment zu erreichen schwierig, weil die einzelnen Bereiche oft eigene, lokale Prioritäten haben. Eine sehr beliebte Lösung für dieses Problem ist die Methodik von “Objectives and Key Results” (OKRs). Sie sorgen auch in komplexen Organisationen für abgestimmte, einheitliche Ziele.

So weit die Theorie. Praktisch habe ich OKRs in zwei Firmen im Einsatz erlebt und bin kein Freund von ihnen geworden. 

Aus 3 Gründen halte ich OKRs in größeren Unternehmungen für nicht gut geeignet um Ziele und Richtung zu geben:

  1. Der OKR-Prozess ist zu aufwändig.
  2. OKRs sind nicht agil und behindern langfristiges Handeln.
  3. OKRs geben nicht die Orientierung, die sie geben sollen.

Bevor ich diese drei Schwierigkeiten erläutere, fasse ich kurz zusammen, wie ein OKR-Prozess funktioniert. 

Wie funktionieren OKRs?

Zunächst zu den Begrifflichkeiten: Objectives beschreiben längerfristige Ziele, die ich erreichen möchte. Key Results sind Zwischenschritte oder Teilergebnisse auf dem Weg ein Objective zu erreichen. 

Objectives und Key Results (OKRs)

Im OKR-Prozess werden beide in einem festen Rhythmus – typischerweise quartalsweise oder halbjährlich – festgelegt und zwar als eine Mischung aus Top-Down-Vorgaben seitens der Geschäftsführung und Bottom-Up-Initiativen aus den Unternehmensteilen. Idealerweise gibt es für das Gesamtunternehmen einen Satz von OKRs. Die darunter gefassten Unternehmensteile greifen diese in eigenen OKRs auf, indem diese auf die jeweils übergeordneten einzahlen. In der Theorie werden Gesamtziele so in die gesamte Organisation heruntergebrochen, bzw. tragen alle Teilorganisationen zu übergeordneten Zielen bei. 

OKRs werden top-down vorgegeben, aber auch bottom-up können Ziele vorgeschlagen werden

Sind die OKRs vereinbart, arbeiten alle Einheiten bis zum Ende der Periode daran sie zu erfüllen. Während der Umsetzung und am Ende wird das Erreichen der einzelnen Ziele bewertet. Danach beginnt ein neuer Planungs- und Umsetzungszyklus. Ein wichtiges Prinzip ist es, für eine Einheit die Zahl der Objectives und Key Results zu beschränken, um Fokus in der Organisation zu erreichen.

Der OKR-Prozess ist zu aufwändig 

Womit wir beim ersten Kritikpunkt wären. Ein Schlüsselelement des gesamten Prozesses ist die Festlegung der Ziele für den kommenden Zyklus. Bei vorgegebenen Top-Level-Zielen müssen sich alle Einheiten einigen, welche Initiativen sie umsetzen wollen, die darauf einzahlen. In der Regel hat jede Einheit eigene Ideen, die oftmals auch die Unterstützung anderer Einheiten benötigen. Dies mag kontraintuitiv klingen, haben doch alle Einheiten die gleichen übergeordneten Ziele. Diese sind jedoch oft sehr allgemein, da sie für die ganze Firma gelten sollen, z. B. “Wir erweitern unser Geschäftsmodell um eine neue Produktkategorie” oder “Wir erschließen eine neue Kundengruppe”. Dadurch kann sich jede Unternehmenseinheit dann leicht viele eigene Initiativen ausdenken, die darauf einzahlen und potenziell der eigenen Einheit zusätzlich nützen, z. B. indem dabei ein ohnehin lang gewünschtes Feature endlich umgesetzt wird. 

Aus diesem Grund beginnen die einzelnen Unternehmensteile vor einem OKR-Zyklus hektisch ihre Ideen vorzubereiten, indem sie sie beschreiben, Business Cases aufstellen, die Abstimmung mit anderen Einheiten beginnen, die für die Umsetzung nötig sind, und so weiter. Dieser Aufwand wird oft über alle Einheiten multipliziert, so dass ich schon erlebt habe, dass die halbe Unternehmung nur mit dem Vorbereiten der nächsten OKRs beschäftigt war. 

Die Einigung auf OKRs am Beginn jedes Zyklus erfordert enorm viel Abstimmung zwischen den Einheiten

All das wäre durchaus produktiv, wenn denn all die Ideen auch als Ziele vereinbart werden könnten. Dies ist aber genau nicht der Fall, da die OKR-Methodik – völlig zu Recht – vorsieht, dass nicht zu viele Ziele gleichzeitig verfolgt werden. Zu den schon aufwändigen Vorbereitungen kommen also noch harte Verhandlungen hinzu, an deren Ende aber so oder so ein großer Teil der vorbereiteten OKRs nicht aufgenommen wird. Diese Verschwendung von Arbeitszeit findet zu Beginn jedes OKR-Zyklus wieder statt (was nebenbei typischerweise auch viel Frust in der Organisation erzeugt).

Manchmal war die halbe Unternehmung nur mit dem Vorbereiten der nächsten OKRs beschäftigt.

OKRs sind nicht agil und behindern langfristige Produktentwicklung

Damit sind wir beim zweiten Kritikpunkt. Ähnlich wie das SAFe Framework zwingen OKRs Unternehmungen in einen festen Rhythmus. Die Dauer des Zyklus bestimmt, wie viel Zeit für die einzelnen Initiativen zur Verfügung steht, also zwischen 3 und 6 Monaten. In den Umgebungen, in denen ich OKRs erlebt habe, führte das dazu, dass am Ende des Zyklus die Initiativen oft fallen gelassen wurden. Die nächsten Ziele standen an und nur deren Erfolg wurde im nächsten Zyklus gemessen – insofern gab es wenig Anreiz “alte Ziele” weiter zu verfolgen. 

Digitale Produktentwicklung ist aber nicht innerhalb von 6 Monaten abgeschlossen. Gerade bei innovativen Produkten ist dann vielleicht erst der Punkt erreicht, an dem man genug gelernt hat um sie wirklich erfolgreich zu machen. Dann fehlt aber die Bereitschaft noch einmal andere Initiativen dafür zurückzustellen und so endet die Entwicklung des Produktes, bevor es fliegen konnte. Langfristige Innovation wird so erschwert, kurzfristiges Denken gefördert.

Sieht sehr iterativ-agil aus, ist aber eher ein kleiner, sich wiederholender Wasserfall fester Dauer: die OKR-Methodik

Oft kann man in OKR-gesteuerten Unternehmungen auch eine Tendenz der einzelnen Einheiten beobachten eigene Ziele möglichst lokal, d. h. mit so wenig Abhängigkeiten wie möglich zu planen. Das ist eine nachvollziehbare Reaktion angesichts der oben beschriebenen Abstimmungsprobleme, führt aber ebenso dazu, dass tendenziell lokal optimierende Vorhaben durchgeführt werden anstatt globale und innovative. Diese vielzitierte Schwerfälligkeit der “großen Tanker” kann in einem innovativen Umfeld den Untergang bedeuten.

Durch die feste Taktung von OKRs wird langfristige Innovation erschwert und kurzfristiges Denken gefördert.

Auch beraubt sich eine Unternehmung mit dem festen Zyklus selbst der Flexibilität. In OKR-gesteuerten Organisationen ist es nahezu unmöglich ein größeres Vorhaben während eines laufenden Zyklus zu starten, selbst wenn sich abrupt ändernde Marktbedingungen das erfordern. 

OKRs geben nicht die Orientierung, die sie geben sollen

Mein letzter Kritikpunkt richtet sich erstaunlicherweise gegen genau das, was OKRs eigentlich versprechen: Ich habe mehrfach erlebt, dass sie nicht für die Orientierung sorgen, derentwegen sie typischerweise eingeführt werden. 

In größeren Unternehmungen ab ungefähr zehn Einheiten entstehen trotz zentral vorgegebenen OKRs plötzlich so viele konkurrierende OKRs, dass es für die einzelnen Einheiten dennoch unübersichtlich wird. Eine Einheit, die sich eigene OKRs gesetzt hat, die auf die Unternehmens-OKRs einzahlen, bekommt plötzlich viele Anfragen von anderen Einheiten, die das selbe tun und für ihre OKRs die Unterstützung der ersten Einheit benötigen. Auch sonst kommen Unterstützungsanfragen unabhängig von OKRs regelmäßig herein, allerdings werden sie nun mit der Dringlichkeit herangetragen, dass sie der Erreichung wichtiger OKRs dienen und deshalb doch bitte priorisiert eingeplant werden sollten. 

In Unternehmungen ab etwa zehn Einheiten entstehen so viele konkurrierende OKRs, dass es für die einzelnen Einheiten unübersichtlich wird.

Je größer Unternehmungen sind, desto mehr Abhängigkeiten zwischen Einheiten gibt es und desto mehr Anfragen sollen einzelne Einheiten bei ihrer Planung berücksichtigen. Im günstigen Fall werden solche Abhängigkeiten schon in der Planungsphase identifiziert und zwischen den Einheiten besprochen. Da OKRs jedoch Ziele und nicht den Weg vorgeben, werden Abhängigkeiten zu anderen Einheiten manchmal erst während der Umsetzung entdeckt, nachdem die angestrebte Lösung konzipiert wurde. In der Folge werden einzelne Einheiten, die eigentlich ihre eigenen OKRs planen und umsetzen wollen, plötzlich mit unzähligen, konkurrierenden Anfragen überladen, die auch alle wichtig sind. Einerseits ruiniert das die Planbarkeit, andererseits findet sich solch eine Einheit schnell im Priorisierungsdilemma wieder, aus dem OKRs eigentlich der Ausweg sein sollten.

Einheit 3 hat – neben ihren eigenen Initiativen zum Erreichen übergeordneter Ziele – ziemlich viele Anfragen von anderen Einheiten um auch deren OKRs zu unterstützen

Fazit

Die geschilderten drei Kritikpunkte an OKRs habe ich mehrfach erlebt. Vielleicht war dabei die Methodik jeweils falsch umgesetzt – das wäre möglich:

Ich glaube in kleineren Firmen können OKRs durchaus gut funktionieren, da sich diese Probleme dort einfacher vermeiden lassen. 

Dennoch glaube ich, dass es insgesamt bessere Methoden gibt um Vorhabenplanung und Priorisierung für eine Unternehmung so zu gestalten, dass sie innovativ, agil und mit Fokus arbeitet. Eine Alternative ist die rollierende Vorhabenplanung, die ich in diesem Artikel beschreibe.

Wie siehst du das? Teilst du meine Erfahrungen mit OKRs oder hast du andere gemacht? Lass es mich in den Kommentaren wissen und auch gerne, ob du Interesse an weiteren Artikeln zu agiler Planung und Priorisierung hast.

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